Story
Wer sich mit der Frage beschäftigt, wie europäische Handschriftensammler im arabischen Raum agierten und wer ihnen beim Zusammentragen der begehrten Quellen half, findet hierzu nur selten zuverlässige Informationen aus erster Hand. Die Geschäftspraktiken und gezahlten Preise waren normalerweise „Betriebsgeheimnisse“, die man lieber für sich behielt.
Im Falle von Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905) verhält es sich anders. Aus der erhaltenen Erwerbungsdokumentation und weiteren Quellen können wir einiges über seine Handelsaktivitäten in Syrien erfahren. Einige werden in diesem Beitrag beleuchtet.
Von 1849 bis 1861 weilte der sächsische Orientalist Wetzstein als erster preußischer Konsul in Damaskus. Während der Zeit seines Aufenthaltes gelang es ihm, wichtige Informationen über Syrien zusammenzutragen, vor allem ethnographischer Art, die er etwa in dem Bericht „Der Markt in Damaskus“ oder dem „Reisebericht über Hauran und die Trachonen“ veröffentlichte.
Sein nachhaltigster Beitrag für die aufstrebende Orientalistik war jedoch die Vermittlung von arabischen Handschriftensammlungen nach Deutschland. Durch den von Wetzstein vermittelten Ankauf der Rifāʿīya-Bibliothek bewahrt die Universität Leipzig (1853) die einzige bis heute vollständig erhaltene Privatbibliothek aus dem osmanischen Damaskus.
Die Wetzstein-Sammlungen in Berlin (erworben 1851 und 1861; 2.250 Bände) und Tübingen (erworben 1864; 171 Bände) enthalten unverzichtbare Quellen für das Studium der islamischen Wissenschaften und der arabischen Literatur.
Als Wetzstein 1851 erstmalig auf Heimaturlaub nach Berlin kam, brachte er bereits eine Sammlung mit, welcher er nicht nur ein Verzeichnis, sondern auch einen detailreichen Bericht über die Umstände ihrer Erwerbung beilegte. Seine Ausführungen verfasste er vor allem mit der Absicht, den preußischen Staat vom Wert seiner literarischen Schätze zu überzeugen und die Entscheider in Berlin zu einem zügigen Ankauf zu bewegen.
Als Honorarkonsul verfügte Wetzstein über keine festen Bezüge und war auf zusätzliche Einnahmen geradezu angewiesen. Obwohl Damaskus der einzige Ort sei, so Wetzstein, in dem noch alte arabische Schriften zu finden seien, sei die Konkurrenz durch europäische Reisende und amerikanische Missionare groß. Es sei sehr schwierig und erfordere einen großen Zeitaufwand und Fachkenntnisse, um an seltene Texte zu gelangen.
Die gebildeten Araber, schreibt Wetzstein, waren zögerlich im Verkauf von Handschriften, und der Ausverkauf der eigenen Überlieferung wurde von der lokalen Bildungselite als herber Verlust empfunden:
„Was kann der Mensch gegen die Macht des Geldes?“ zitiert Wetzstein seinen Freund, den Damaszener Stiftungsverwalter und späteren Mufti der Stadt Maḥmūd Ḥamza (1820/21–1887/88):
„Und hat auch ja einmal ein Muslim eine seltene Sammlung angelegt, bei seinem Todt müssen alle Bücher zur Bestimmung des Fünften, den der Kadhi von der Erbschaft bezieht, gesetzlich versteigert werden und alle Bücher, welche in die Hände der Minderreichen oder geldsüchtigen Leute gerathen, fallen an Euch, und sind unrettbar für uns verloren.“
Wie in Europa boten auch in Damaskus Buchauktionen willkommene Gelegenheiten zum günstigen Erwerb von Handschriften. Deutlich schwieriger war es jedoch für den Büchersammler Wetzstein, Privatpersonen gegen Geld einzelne Handschriften abzukaufen. Die muslimischen Bürger der Stadt wollten es gerne vermeiden, dass Schriften ihrer Glaubensgenossen in die Hände der Christen gelangten:
„Nur durch fortgesetzte werthvolle Geschenke (Doppelflinten, schöne Pistolen, Bernsteinmundstücke, Porzellan, goldene Uhren, Dosen, Brillantringe u. dergl.) kann man sie zwingen, eine Handschrift von der sie wissen, daß man sie will, als Gegengeschenk abzulassen.“
Nur ein älterer Scheich, genannt al-Ǧamal al-Miṣrī, ein hochbetagter Antiquitätenhändler, handelte mit Wetzstein in Damaskus Handschriften gegen Geld. Sein Name war eigentlich Aḥmad. Da er aus Ägypten stammte und meist mit einem Büchersack auf dem Rücken gesehen wurde, erhielt er seinen Spitznamen „das Kamel“.
Aḥmad besuchte Wetzstein regelmäßig nach Einbruch der Dunkelheit. Für jedes von ihm angebotene Buch erhielt er einen Piaster. Auf diese Weise sicherte Wetzstein sich das Vorkaufsrecht. Damit ihm dasselbe Buch nicht mehrmals angeboten wurde, versah er alle von ihm eingesehenen Bücher mit einem schwarzen Stempel. Die etwa 200 Handschriften, die er 1851 nach Berlin brachte, hatte er aus mehreren Tausend Handschriften ausgewählt, wie aus einer Abrechnung hervorgeht.
Hauptsächlich wegen des Umgangs mit diesem Händler, so Wetzstein, habe er seinen Wohnsitz aus dem christlichen in das türkische Viertel von Damaskus verlegt. Aḥmad sei von seinen Glaubensbrüdern zu sehr angefeindet worden, wenn er das christliche Viertel betreten habe.
Überhaupt werde der Handschriftenhandel mit Europäern von den Muslimen mit großem Argwohn verfolgt und sei von Feindseligkeit begleitet. Der Scheich Aḥmad landete mehrmals im Gefängnis, aus dem ihn Wetzstein aufgrund seiner guten Kontakte wieder befreien konnte. Mit seinem Büchersack spürte Aḥmad seinen deutschen Kunden sogar in der Sommerfrische im Antilibanon auf.1
Wetzstein war sich bewusst, dass viele der ihm angebotenen Bücher aus Moscheen und Medresen stammten oder von Scheich Aḥmad manipuliert wurden, etwa indem Stiftungsvermerke entfernt oder Titel und Verfasserangaben gefälscht wurden. Er war aber der Überzeugung, dass die angebotenen Bücher nicht gestohlen waren – selbst die größten Feinde des alten Händlers würden dies nicht behaupten.
Wetzstein beschreibt seinen Handelspartner sehr anschaulich und mit einer gewissen Liebenswürdigkeit. Da er den hier zitierten Bericht mit der Absicht verfasste, den Wert seiner Sammlung hervorzuheben, muss nicht jedes Detail der Wahrheit entsprechen.
Aber insgesamt bestätigt es seine Fähigkeit, ein sachliches, differenziertes und oft einfühlsames Bild verschiedener Aspekte der arabischen Kultur zu vermitteln. Wie viele seiner orientalistischen Zeitgenossen sah Wetzstein allerdings den Niedergang des traditionellen arabisch-islamischen Bildungswesen als einen unumkehrbaren Prozess an.
Seine guten Kontakte zu Damaszener Gelehrten sind wohl auch der Grund dafür, dass Wetzstein als mutmaßlich erster Europäer von den Koranfragmenten erfuhr, die im sogenannten Schatzhaus der Umayyadenmoschee (Qubbat al-ḫazna) lagerten.
Der Berliner Orientalist Julius Heinrich Petermann (1801–1876) reiste gemeinsam mit Wetzstein nach dessen Heimaturlaub nach Damaskus, wohin ihn die „Aussicht auf bedeutende litterarische Ausbeute“ zog. Das preußische Kultusministerium finanzierte die Reise und stellte ihm Mittel für den Erwerb von Handschriften und Altertümern zur Verfügung. Am 2. November 1852 meldete Petermann an die Königliche Bibliothek zu Berlin:
Der Berliner Oberbibliothekar Pertz forderte Petermann auf, alles zu unternehmen, um an diese Handschriften zu gelangen, was jenem aufgrund seines vergleichweise kurzen Aufenthaltes in größerem Umfang nicht möglich war. Später verkaufte aber Wetzstein selbst aus dieser Quelle Koranfragmente nach Berlin und Tübingen.
Weitere Stücke gelangten auf anderen Wegen nach Europa– die Mehrheit der Damaszener Koranfragmente befindet sich heute im Museum für Islamische Kunst in Istanbul.
Wetzstein interessierte sich sehr für das zeitgenössische Arabisch und die Volksliteratur der öffentlichen Geschichtenerzähler. Die Berliner Sammlung enthält etwa 700 Bände, die den sogenannten Heldenepen zuzuordnen sind, eine Teilsammlung, die gegenwärtig vollständig digitalisiert wird. Einige der Bände enthalten Anmerkungen und Korrekturen von seiner Hand, denn er hatte, wie er in einem Brief an Richard Lepsius schrieb, viele Abende in Damaskus mit der Lektüre dieser Werke zugebracht.
Er pflegte auch Kontakte zu öffentlichen Erzählern. Einer, ein gewisser Derwisch Raǧab, begleitete Wetzstein 1858 auf seiner Forschungsreise in den Hauran:
Raǧab verkaufte Wetzstein auch Handschriften aus seinem Besitz, etwa ein mehrbändiges Exemplar der Sīrat al-Malik Baybars (Wetzstein II 562–586). Diese 25 Bände gehörten einmal Aḥmad al-Rabbāṭ, einem syrischen Geschichtenerzähler und Bücherverleiher. Bücher Rabbāṭs konnten in zahlreichen Bibliotheken identifiziert werden. Vielleicht sind auch andere Bände aus der Bibliothek dieses bekannten Buchentleihers über den Geschichtenerzähler Raǧab an Wetzstein gelangt.
Alle diese Informationen verdanken wir Besitzereinträgen, die auf den ersten Blättern der Handschriften zu finden sind. Auch diese können wichtige Indizien sein, um nachzuvollziehen, welchen Weg die Bücher gegangen sind, bevor sie in deutsche Bibliotheken gelangt sind.
Ohne die Kooperationsbereitschaft und Unterstützung lokaler Händler und kenntnisreicher Vermittler wären die Orientalisten nicht in der Lage gewesen, in diesem Umfang Handschriften zu erwerben und zu erstrangigen Sammlungen zusammenzustellen. Es ist wichtig, diese Akteure bei der Betrachtung der Handelsaktivitäten stärker zu berücksichtigen.